Stadt Koblenz trauert um Jacqueline Diffring – Die Künstlerin und gebürtige Koblenzerin starb im Alter von 100 Jahren

Die Nachricht vom Tode der Künstlerin und Kulturpreisträgerin der Stadt Koblenz Jacqueline Diffring, die im stolzen Alter von 100 Jahren und nach einem langen Leben voller Courage am 28. September verstorben ist, hat in Koblenz große Trauer ausgelöst. In einem Kondolenzschreiben der Stadt Koblenz an die Angehörigen schreiben Oberbürgermeister David Langner und die Dezernentin für Bildung und Kultur PD Dr. Margit Theis-Scholz: „Wir bewundern Frau Diffrings bewegtes, interkulturell geprägtes Leben voller Weitsicht und Kreativität und vor allem die Kraft, mit der sie die schmerzhaften Brüche ihrer Biografie überwunden und künstlerisch verarbeitet hat. Ihre Offenheit und Ihre Weltansicht spiegeln sich in ihren zeitlosen Kunstwerken wider.“   Das Verhältnis zu ihrer Geburtsstadt Koblenz und zu Deutschland war aufgrund der schrecklichen antisemitischen Erfahrungen in ihrer Jugend gespalten. Mit der Auszeichnung als Kulturpreisträgerin der Stadt Koblenz konnte die mutige, emanzipierte, frei denkende und inspirierende Künstlerin Jacqueline Diffring 2014 stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden. Der Wiederaufbau ihres Ateliers im Mittelrhein-Museum wird nun ein bleibendes Andenken und ein Ort der Anerkennung und Wertschätzung sein. „Es erfüllt Koblenz mit Stolz Geburtsstadt einer international anerkannten und bedeutenden Künstlerin zu sein. Wir bleiben ihr stets verbunden und werden sie in ehrenvoller Erinnerung behalten, schreiben Langner und Theis-Scholz in ihrem Schreiben.   Zur Person Am 7. Februar 1920 in Koblenz geboren, vermitteln die Eltern Bertha-Maria Diffring und Semy Pollack ihr und den Geschwistern Anton (1916-1989) und Ruth (1918-2010) früh ihre eigene, leidenschaftliche Begeisterung für Kunst, Theater, Musik und Tanz. In der Folge lassen sich alle drei künstlerisch ausbilden: Anton wurde Schauspieler, Ruth Fotografin, Jacqueline Bildhauerin. Aufgrund der jüdischen Herkunft des Vaters sieht sich die Familie ab den frühen 1930er Jahren zunehmend antisemitischer Anfeindung und Ausgrenzung ausgesetzt, weshalb die Diffring-Kinder 1937 nach Berlin ziehen, um an der profilierten Reimann-Schule zu studieren und in der Großstadt unterzutauchen. Zwei Jahre später gelingt Jacqueline die Flucht nach London, wo jedoch sie erst 1944 ihre künstlerische Ausbildung aufgrund finanzieller Nöte am Cambridge Technical College und später an der Chelsea School of Art fortführen kann. Ihrer Rückkehr nach Koblenz 1954 – in das Land der Täter – folgt eine längere Phase, in der sie sich kaum zum kreativen Ausdruck befähigt sieht. Dies soll sich erst mit der Entscheidung ändern, 1960 im französischen Anjou seßhaft zu werden, wo sie sukzessive wieder zur Kunst zurückfindet. Vollends ist ihr dies erst 1977 im neuen Refugium in Châteauneuf-de-Grasse möglich, dann jedoch mit hoher Vehemenz und innovativer Kraft.   Retrospektiv kann das Studium an der Berliner Reimann-Schule (1937-1939) als eine Zeit der künstlerischen Orientierung für Diffring bezeichnet werden, der sich in England sukzessiv Phasen der Spezialisierung auf Bildhauerei und Zeichnung anschließen. Als Prämisse ihres künstlerischen Ausdrucks formuliert sie das Gestalten mit den eigenen Händen, doch entstehen unabhängig davon in den 1950er und 1960er Jahren eindrucksvolle malerische Selbst- Porträts und figurative Darstellungen. Mit deren zunehmend abstrahiertem Formenverständnis knüpft Diffring an den avantgardistischen Geist deutscher Zwischenkriegszeit an und demonstriert hierüber dessen künstlerisches Vermächtnis nach 1945.   Reiche Inspiration empfängt Diffring vom Werk Henry Moores (1898-1986), der auch nach seiner Lehrtätigkeit an der Chelsea School of Art in London (1932-1939) intensiv die Gelegenheit zum Austausch mit den Studierenden nutzt. Bis zuletzt befindet sich Diffring im Dialog mit dessen Schaffen, auf das sie erkennbar und wiederholt zurückgreift. Interessant ist hierbei zu beobachten, wie sie ein Thema, das sie als frisch Graduierte noch unmittelbar an seine Komposition anlehnt, als gereifte Künstlerin weiterentwickelt und sich dabei sowohl von ihrem Vorbild als auch dem eigenen Frühwerk löst, beide quasi überholt. Auch ist ihr Vorgehen beim plastischen Formen ein gänzlich anderes: Während Moore nach präziser Vorzeichnung modelliert, tritt Diffring vollkommen frei an das Material heran und lässt aus dem Inneren heraus ihre Hände zu einem Thema arbeiten. Für den Entstehungsprozess der skulpturalen Arbeiten ist einerseits der Verzicht auf Vorzeichnung und -entwurf immanent, anderseits das grundsätzliche Verständnis ihrer als mehransichtiges Werk. Diffring hierzu: „Meine Skulpturen haben ja keine ‚Schauseite‘. Es soll auch keine geben. Bei mir gibt es wirklich keine, denn ich drehe die Skulpturen ja dauernd bei der Arbeit.“ Dadurch vermögen sie aus wechselnden Blickwinkeln unterschiedlichste Eindrücke von sich vermitteln, das Übereinbringen dieser Varianz obliegt wiederum dem Betrachter. Mit voranschreitendem Werk offenbart sich Pablo Picasso (1880-1973) als die noch bedeutungsvollere, weil ideelle Referenz ihres Schaffens: Diffring geht in tiefe Auseinandersetzung mit seinem Oeuvre als auch mit den ihm eigenen kunsthistorischen wie ästhetischen Vorbildern. Augenscheinlich wird dies unter anderem in Skulpturen wie „Eröffnung“ (2010) oder „Götter und Idole“ (1990), in denen sie das monumentale wie gestalterische Moment seiner späten in Beton gegossenen Skulpturen aufgreift. .   In Betrachtung von Diffrings Oeuvre fällt ein großer Wandlungsreichtum auf, der sich anhand der in einer bestimmten Phase wiederholenden Merkmale durchaus periodisieren und voneinander abgrenzen lässt. Dies könnte man als eine rein ästhetische Entscheidung annehmen, spezifische Motive oder Gestaltungsformen gänzlich auszuschöpfen und sich hernach Neuem zuzuwenden. Tatsächlich führt die Bildhauerin diese sichtbaren Veränderungen in ihren skulpturalen Arbeiten auf sich selbst zurück – auf die sich stetig variierenden Lebensthemen. Insofern bedeutet die Auseinandersetzung mit ihrem Werk immer auch eine persönliche Begegnung mit Jacqueline Diffring, ihrem Ringen um sich und die sie umgebende Welt, denn so sie selbst: "Es ist fast wie eine Autobiographie".   Aktuell ist im „Schaufenster“ des Mittelrhein-Museums die Installation „Jacqueline Diffring – DAS ATELIER“ zu sehen, die den Ort ihres künstlerischen Wirkens authentisch rekonstruiert und in Form von 92 Skulpturen aus Gips, Ton und Bronze einen Einblick in ihr Schaffen vermittelt.
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